29. Kapitel
Was soll ich bloß machen, Bess?«
Violet saß in einem bequemen Sessel in Patricks Bibliothek, das Kätzchen auf ihrem Schoß. Die vergangene Woche war die schönste ihres Lebens gewesen, und sie wusste, dass sie dies Patrick zu verdanken hatte. Er machte jeden Tag zu etwas ganz Besonderem. Er ging mit ihr zu Partys, führte sie in Restaurants aus, las ihr vor... sie machten Spaziergänge und spielten stundenlang mit Bess.
Bei ihm fühlte sie sich umsorgt, geborgen... wann hatte sie sich je so gefühlt? Nie. Sie war noch nie so glücklich gewesen. Sie hatte noch nie geliebt.
»Was soll ich bloß machen, Bess?«, wiederholte sie hoffnungslos. Bess erhob sich wackelig und streckte schnuppernd das Schnäuzchen zu Violet hinauf. Violet legte sich das Tierchen auf die Schulter und rieb ihre Wange an dem weichen Fell. Bess schnurrte zufrieden. Patrick hatte sie gestern gebadet, und sie roch nach Seife.
»Ich liebe ihn, Bess.«
Bess schnurrte.
»Dich auch, weißt du?«
Das Kätzchen regte sich und fuhr fort zu schnurren.
»Ich war noch nie so glücklich.« Sie hatte Angst, das alles zu verlieren. Und sie würde es verlieren, denn Ismail musste seine gerechte Strafe bekommen.
Ismail musste für seine Tat bezahlen, daran kam sie nicht vorbei. Aber vielleicht gab es ja einen anderen Weg. Vielleicht wüsste Patrick Rat. Er würde sie doch sicher verstehen, oder?
Wenn sie ihm nun erzählte, was Ismail getan hatte? Die beiden waren Freunde, fast Brüder. Aber er würde ihr glauben, oder? Er würde die Sache zumindest untersuchen müssen. Und er würde die Wahrheit herausfinden. Bluttrinker konnten Gedanken lesen. Er würde Ismails Gedanken lesen und wissen, dass sie recht hatte. Sie würden ihn bestrafen müssen. Sie kannte die Gesetze der Vampire, die Seherin hatte sie ihr erklärt... sie durften Menschen nichts antun. Sie würden Ismail bestrafen müssen.
Violet erhob sich und setzte die schlafende Bess behutsam auf dem Sessel ab. Ihr Magen flatterte nervös. Sie würde es Patrick erzählen. Nur so konnte sie weiter mit ihm zusammenbleiben. Sie musste es ihm sagen... Bis jetzt war es ihr unmöglich erschienen, die Bluttrinker davon zu überzeugen, dass sich in ihren Reihen ein Mörder befand, doch nun lagen die Dinge anders. Patrick mochte sie, er würde ihr helfen...
Sie trat in den Gang hinaus und schnupperte. Von der Eingangshalle kam ein kalter Schneegeruch... jemand musste kürzlich die Tür geöffnet haben.
Ein paar weitere Atemzüge, und sie wusste, dass Patrick sich in seinem Arbeitszimmer befand. Aber er hatte Besuch ...
Violet schlich leise zur Tür. Sie atmete tief ein: Jasmin, Moschus, Rauch... Der Rauch des Kaminfeuers war scharf und durchdringend. Violet versuchte es erneut. Rauch, Jasmin, Blut, Rouge, Puder: eine Frau. Wen hatte Patrick bei sich?
Violet trat neugierig näher und drückte ihr Ohr an die Tür.
Patrick lehnte sich gereizt in seinem Sessel zurück. Elisabeth war gekommen, um sich bei ihm zu entschuldigen, wie sie behauptete, doch nun benahm sie sich lächerlich.
»Ist es immer noch diese Zigeunerin? Ist sie dir noch nicht langweilig geworden?« Elisabeth warf erregt ihr Haar zurück und beugte sich über seinen Schreibtisch. Ihr tief ausgeschnittenes Kleid verbarg so gut wie gar nichts. »Sie kann unmöglich genug Erfahrung haben, um dich zu be-, friedigen!«
»Nein, sie hat wirklich nicht viel Erfahrung«, musste ihr Patrick beipflichten. Welche Ironie, dass das, was Elisabeth für eine Schwäche hielt - mangelnde Erfahrung -, genau das war, was Patrick so zu Violet hinzog. Violet war unerfahren, unschuldig, aber sie war leidenschaftlich und willens, alles auszuprobieren. Oh, und wie sie ihn befriedigte! Mehr als jede Frau zuvor.
Das einzig Unschuldige an Elisabeth hingegen war ihre Schwäche für Zimtplätzchen.
»Es war so gut mit uns.« Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern und lächelte verführerisch. Patrick war versucht, sie auf der Stelle hinauszuwerfen, aber er wollte sichergehen, dass sie verstand.
»Ja, das war es, Elisabeth.«
»Und es hat dir gefallen, was ich mit dir angestellt habe, oder?«
»Mag sein.« Patrick hatte dieses Gespräch mehr als satt. »Aber...« Ein Geräusch vom Gang ließ ihn innehalten.
Falls das Violet war... sie hätte einen völlig falschen Eindruck bekommen. Verdammt.
»Aber was?«, fragte Elisabeth und stemmte die Hände in die Hüften. Patrick ging wortlos zur Tür.
»Aber was, Clanführer!«
Der Gang war verlassen, niemand zu sehen. Eine Bewegung ließ ihn nach unten blicken. Bess!
Patrick bückte sich und hob das Kätzchen auf. Es begann sofort zu schnurren. Das Tierchen war die reinste Schnurrmaschine. Mit seiner kleinen rosa Nase und dem weichen Fell war es einfach unwiderstehlich.
»Hör zu, Elisabeth«, sagte Patrick seufzend, schloss die Tür und wandte sich zu der Vampirin um, »wir hatten eine schöne Zeit, aber es ist vorbei. Und es wird nicht noch einmal geschehen.«
Elisabeths Augen blitzten hasserfüllt auf. »Daran ist nur diese Hure schuld!«
Auch auf seinem Gesicht machte sich Zorn breit, und drohend trat er auf sie zu.
»Wenn jemand schuld ist, dann du selbst«, knurrte er. »Und falls du Violet auch nur schief ansiehst, dann bricht hier die Hölle los.«
Patrick sah die Angst in Elisabeths Augen und war zufrieden. Seine Warnung hatte gewirkt.
»Und jetzt verlass sofort mein Haus.«
»Jawohl, Clanführer.« Sie verbeugte sich und floh. Einen Moment später hörte Patrick die Eingangstür ins Schloss fallen und seufzte erleichtert auf.